In einer nahen Zukunft.
„Du Opa“, piekst die kleine Enkelin ihren Großvater in den linken Arm,
„Das mit dem ‚Himmel‘ habe ich noch nicht so richtig verstanden.“
Opa kennt das Pieksen seiner siebenjährigen Enkelin nur zu gut. Jedes Mal wenn ihn seine ‚Maus‘ besucht, wie er sie gerne nennt, scheint sie Fragen aus sämtlichen Bereichen gesammelt zu haben um ihn als ihren ‚Erklärbär‘, wie Oma ihn liebevoll neckt, zu ‚löchern‘.
„Was genau meinst Du, meine Maus“, wendet er sich ihr fragend zu, während beide bei schönstem Sommerwetter auf dem dicken Stein am Parkplatz sitzen und warten.
„Na das mit Himmel und Hölle halt, Opa“, fällt sie ihrem schon etwas gemütlich sprechenden Großvater fast ins Wort.
Wenn es nach diesem vor Leben nur so strotzenden Kind ginge, würde es Grossvaters Sprachgeschwindigkeit wie bei ihren Lieblingsfilmen im Netz auf das 2,5fache stellen.
Opa, der schon mehr als sein halbes Leben als Trainer und Coach arbeitet, nimmt es meistens sehr genau wenn er antwortet und fragt vorher oft zwei bis dreimal nach bis alle Details für ihn sitzen.
„Ein sehr schönes Thema, toll, dass Du damit wieder zu mir gekommen bist. Möchtest Du dazu etwas allgemeines oder meine ganz persönliche Meinung dazu hören, meine Maus?“
„Na Deine Meinung Opa, wie immer, das aus der Schule und Kirche kenne ich schon lange auswendig“, entgegnet sie wie immer etwas ungeduldig und beobachtet das bunte Treiben ihm gegenüber liegenden Café ohne Großvater dabei anzuschauen.
Um die clevere kleine Dame, die gleichaltrigen schon weit voraus ist, nicht missmutig zu stimmen, entscheidet sich Opa weder zu sehr auszuholen, noch seinen Sprachgebrauch an eine gewöhnliches Kleinkind anzupassen:
„Na gut Mausi“, lacht er etwas blechern, „wenn also alle Sünder in die Hölle kämen, wäre im Himmel nicht all Zuviel los, oder?“
„Wie meinst Du das“, wendet sich die Kleine im nun zu und widmet ihm endlich ihre volle Aufmerksamkeit, „glaubst Du nicht daran, was alle über die Hölle erzählen?“
„Doch schon, jedoch denke ich, dass es etwas anders gemeint war, als diese Erzählung damals vor über 2000 Jahren von einer alten, uns heute etwas fremden Kultur in einer fremden Sprache aufgeschrieben und mündlich weitergegeben wurde“, holt Opa aus.
„Damals wie heute liebten die Menschen spannende und bildhaft erzählte Dramen, also Geschichten um ‚Gut und Böse‘. Diese sollten die Leute von unüberlegten und häufig bösen Taten abhalten.“
„Konnten die denn damals nicht lesen oder es sich vorlesen lassen“, wirft die Kleine mit ihrer unbestechlichen Logik ein.
„Das Fernsehen, das Internet und Smartphones, wie wir sie heute als selbstverständlich wahrnehmen, sind nur etwa 20 Jahre alt.
Viele Menschen waren arm und konnten nicht lesen, daher wurden diese Bildgeschichten häufig mündlich weiter gegeben und erst viele Jahre später aufgeschrieben. Schulen wie heute gab es so nicht. Siri, Alexa, GPT etc. gab es auch nicht, nur Opas, so wie ich heute“, schließt er schmunzelt ab.
„Opa!“ Was ist denn nun mit dem Himmel,“ erinnert sie ihren Großvater nun leicht säuerlich und stützt ihre Hände in die Hüften, wobei sie wie Oma genervt mit den Augen rollt.
„Gleich, Maus, Du kennst doch das Spiel ‚Flüsterpost‘ aus dem Kindergarten, da bleibt am Schluß manchmal nicht mehr viel vom anfangs geflüsterten Worten übrig.“
„Ja, das ist immer so witzig, was da raus kommt“, stimmt sie ihm zu.
„Da es auch keine Zeitungen gab, reisten einige Menschen durchs Land und erzählten von symbolischen Gleichnissen und Geschichten aus anderen Landstrichen und fernen Ländern“, erklärt er ihr während er Ihre Reaktion auf seine verwendeten Fremdworte mit einem Seitenblick beobachtet.
„So wie Du Opa, über Computer und Handys?“
„So ähnlich meine Maus, nur das ich versuche immer bei der Wahrheit zu bleiben, was mir zugegebener Maßen nicht immer gelingt“, fügt er schmunzelnd hinzu, „jetzt aber zu Deiner eigentlichen Frage.“
Opa wendet sich seiner Enkelin jetzt komplett zu und nimmt Blickkontakt mit ihr auf. Die ältere Dame die drüben vom Café aus „Ich komme gleich!“ gestikuliert, nehmen beide nicht mehr wahr. Opa und Mausi sind ganz im Moment, als er seine linke Hand auf sein Herz legt und mit der linken auf das Herz der kleinen deutet.
„Für mich fühlt sich hier (am Herzen) folgendes ‚richtig‘ an: Himmel und und Hölle erreicht mal nicht nach dem Tod, sondern erleben wir bereits zu Lebzeiten.“
Er macht bewusst eine schöpferische Pause um seine vorangegangenen Worte bei seiner Enkelin wirken zu lassen. Sie schaut ihn darauf hin mit großen Augen und offenem Mund an. Die Luft scheint sie anzuhalten und man könnte meinen, die Zeit ist für alle anderen stehen geblieben. Keine Geräusche oder Gespräche der vielen Touristen werden noch wahrgenommen. Opa möchte den heiligen Moment der Klarheit für sich feiern, hat jedoch die Rechnung ohne die neugierige kleine Dame neben sich gemacht:
„Opi, du bist schon wieder so ‚verschwurbelt‘, wie Omi immer sagt, ich verstehe kein Wort.“
„OK, OK“, er atmet tief ein, sammelt sich ein wenig und fährt weiter fort, „wenn wir für uns selbst, unsere Lieben und Freunde, aber auch für die Menschen und Tiere um uns herum, liebevolle Dinge sagen und tun, freundlich und respektvoll sind, fühlt sich das nicht nur gut und richtig an, sondern wir bekommen das auch vielfach zurück.
DAS fühlt sich an, wie im ‚Himmel‘.
Du wirst ganz leicht, stehst etwas grader, atmest viel besser, willst tanzen vor Freude, Du fühlst Dich gesund und bekommst Gänsehaut, das kennst Du, richtig?“
„Oh ja, Opa“, bekennt die Kleine vor lauter Freude.
„Wenn Du aber lügst, böse bist, schlecht über andere sprichst, nicht teilen möchtest, oder deinen kleinen Bruder herumschubst, dann bekommst Du das auch vielfach zurück.
DAS fühlt sich aber sehr schlecht an, Dein Bauch krampft, Du hast Angst vor Strafen oder dass Dir jemand Saures zurück gibt und Dir alles heimzahlt. Das könntest Du auch als ‚Hölle‘ bezeichnen.
„Nein Opa, das mag ich mir nicht vorstellen oder wünschen“, winkt die Kleine deutlich gestikulierend ab.
„Das bauchst Du auch nicht, stelle Dir einfach jeden Morgen ganz deutlich vor, was Du Dir wünschst, die schönsten Dinge und bedanke Dich abends vor dem Schlafen für alles Schöne, was an diesem Tag passiert ist. Davon kommt noch mehr. Schönes und Schlechtes sind beide magnetisch und jeder zieht sie an, wie Magie, wähle also weise, was Du wirklich willst.“
„Opa, hast Du so auch Oma angezogen, ja?“
„Nun“, räuspert er sich, „dafür musste ich allerdings sechsmal so lange üben, wie Du alt bist, meine große clevere Maus.“
„Opa, da hast Du aber ganz schön lange geübt, hat Dir das denn keiner erklärt, wie einfach das Wünschen ist“, kommentiert die Kleine mit gekünstelter Entrüstung.
Plötzlich fällt Ihr Blick zuerst auf sein linkes Auge und dann auf seine freien Unterarme voller Gänsehaut, und ergänzt:
„Warum lächelst und weinst Du zugleich und warum frierst Du jetzt?“
„Das, meine große Maus, verrate ich Dir ein anderes Mal,…
schau, da kommt Oma mit unserem Lieblingseis, ‚Tagiatelle Pistazie‘!“
Im Dezember 2023 um 21:50 Uhr