Die unerträgliche Nachmittagssonne raubt den verschleierten Leuten aufgrund des Luftmangels und der schieren Hitze den Atem. Auch in den wenigen schattigen Stellen findet sich keine Erleichterung. Erschöpfung und Aggression machen sich seit mehreren Monden breit. Die Suche nach einem „Schuldigen“ hat sich in den letzten Wochen zu einer regelrechten Hexenjagd gesteigert. 
Fremde, Frauen, Andersfarbige, Freidenker und Volksführer sind ein gefundenes Fressen für den Mob. Selbst Nachbarn und Freunde werden bei den Behörden denunziert. Kurz, es ist eine in mehreren Sinnen mehr als stark aufgeheizte Stimmung. 
Aus dieser brodelnden Masse tritt plötzlich ein einzelner Mann völlig unmaskiert hervor, als wäre er von einem fernen Kontinent angereist, der von der grassierenden Seuche verschont geblieben ist. Nur mit dem nötigsten bekleidet schreitet er gezielt auf den Eingang des gut bewachten und monumentalen Gebäudes zu.
Arli‘s Entscheidung fünf Meter vor dem großen Tor stehen zu bleiben, läßt die anwesenden Menschen neugierig werden und herbeiströmen. Die Luft ist zum Schneiden dick. Seine Begleiter halten sich zurück und verschmelzen mit der Menschentraube.
„Gewährt mir Einlass!“ ruft er freundlich, aber sehr bestimmt.
„Ihr habt hier nichts zu suchen“, schallt es ihm militärisch entgegen, „verschwinde!“
„Wovor habt ihr solche Angst“, fordert er die Wachen heraus, „seht, ich bin nicht krank!“
„Geht!“
„Was ist, wenn Euer Herr Re Tep erfährt, dass Ihr jemanden mit einem wirksamen Heilmittel gegen diese grassierende Seuche unverrichteter Dinge fortgeschickt habt“, wirft Arli ein und macht eine bewusste Pause, 
„und, was meint Ihr?“
Die Wache scheint unruhig zu werden und wirft ihren Mitstreitern einen fragenden Blick zu.
„Du willst der Heilbringer sein, der Auserwählte, der Messias?“ dröhnt es Arli mit höhnischem Gelächter entgegen.
„Ich bin der, der ich bin. Wen habt Ihr denn erwartet?“ fragt Arli grade noch hörbar für alle Anwesenden.
Eine Stille breitet sich aus, so dass nur noch vereinzeltes Husten und schweres Atmen zu vernehmen ist.
„Ausgerechnet Du?! Der Sohn eines Zimmermanns? Ich kenne Dich von früher, wo warst Du eigentlich die letzten Jahre“, spottet die Wache von ihrer erhabenen Position auf dem Tor auf ihn herab.
„Warum nicht ich?“, erkundigt sich Arli und dreht sich dabei auch zu den anwesenden Menschen um.
„Wo sind denn Deine Werkzeuge, Mittel, Salben und Tinkturen, um unseren Herren zu behandeln“, fragte eine andere Wache in ihrer Neugier geweckt, „Du stehst hier vor uns, nur von einer Galabea bedeckt und Sandalen an den schmutzigen Füssen, mit den leeren Händen eines Bettlers!“
Ein lautes Raunen geht durch die Menschentraube. Einige scheinen dem stichhaltigen Argument der Wache zuzustimmen und winken ab. Der ein oder andere scheint sich abzuwenden und dem jungenhaften „Spinner“ keine weitere Aufmerksamkeit mehr schenken zu wollen.
„Alles was ich benötige, trage ich hier immer bei mir“, erläutert Arli und deutet mit einem vielsagenden Blick auf seine wie zu einem Gebet geschlossen Hände.
Die verbliebenen Leute um Arli schieben sich von Neugier gepackt gegenseitig aus dem Weg, um zu sehen worauf er zeigt. Auch wenn das Ganze noch recht gesittet abläuft, erinnert das Bild ein wenig an einen brodelnden Ameisenhaufen. Die mittlerweile herbeigeeilten restlichen Wachen, haben ebenfalls Position eingenommen und recken ihre Hälse, um dem Schauspiel zu folgen und zu sehen, was dieser seltsame Mann mitgebracht hat. 
Bisher hatte diese Seuche interessanterweise nur alte und kranke dahingerafft. Dennoch sind alle in Hab-Acht-Stellung, um eine mögliche Eskalation im Keim zu ersticken und notfalls mit Waffengewalt diesen versammelten, potentiellen Mob auseinander zu treiben. Angst kann ein mächtiger und gefährlicher Gegner oder auch Verbündeter sein. Steinigungen sind trotz strengsten Verbots immer noch eine drohende Gefahr.
Ein kleines Mädchen von etwa sechs Jahren, in Lumpen gekleidet, tritt aus der Menschengruppe hervor und humpelt von einem Stock gestützt unverhohlen auf Arli zu, der sich ihr lächelnd zuwendet.
„Vorsicht Kleine, bleib lieber weg von dem Irren und komm zurück“, zischt eine krächzende Stimme aus der Menge.
„Was hast Du denn da mitgebracht, was meiner Großmutter helfen könnte“, fragt sie Arli unbekümmert.
„Alles, was auch Du immer bei Dir hast, Dein ganzes Leben lang“, antwortet Arli dem Kind, geht zu ihm in die Hocke hinunter und öffnet seine beiden Hände mit den Handflächen nach oben, so dass auch alle anderen den Inhalt genau sehen können.
„Ich sehe aber nichts“, sagt die Kleine enttäuscht mit großen Augen.
„Du kannst Liebe und Vertrauen nicht sehen, Du kannst sie jedoch fühlen, genau hier“, erklärt Arli mit seiner sanften Stimme und legt seine linke Hand auf sein Herz und die rechte auf das Herz des staunenden Mädchens, dem augenblicklich warm und wohlig wird. 
Eine prickelnde Gänsehaut umgibt das Mädchen trotz flirrender Hitze, begleitet von Freudentränen die sich ihren Augenwinkeln sammeln. Der Fuß des Mädchens scheint nicht mehr so geschwollen zu sein und es steht auch ein wenig aufrechter. Es lächelt mit großen leuchtenden Augen in die Menge und scheint von einem bläulichen Glühen, ähnlich einer Corona umgeben zu sein.
Es herrscht eine atemlose Stille an diesem sonst so belebten Ort. Mit offenen Mündern beobachten die Menschen diese ungewöhnliche Szenerie, oder ist das alles nur Einbildung? Zuwenig Luft, die Hitze, Durst und Mangelernährung fordern wohl ihren Tribut?
„Wie heißt den meine mutige Heldin?“, fragt Arli das Mädchen.
„Mein Name ist Alaha.“
„Dann, liebe Alaha, zeige schnell Deiner Großmutter, was Du hier gefühlt und gelernt hast.“
Beseelt und voller Vertrauen stürmt die Kleine mit „leeren“ Händen nach Hause zurück, ohne sich noch einmal umzuschauen. 
Ihr Stock bleibt unbeachtet auf dem sandigen Boden liegend im Schatten der großen neuen Pyramide zurück.
Im August 2020