„Hast Du auch das Gefühl, dass Worte massive Dinge in Bewegung setzten können?“, fragt sie ihn intuitiv, wird sich der tieferen Bedeutung dieser Frage aber noch nicht ganz bewusst.
„Ja, im optimalen Falle, umgekehrt können sie auch einiges zum Erliegen, sogar zum absoluten Stillstand bringen“, führt er ihre Frage fort.

Durch ihre Gespräche mit ihm wird ihr langsam bewusst, daß nicht nur Handlungen und Taten, sondern auch gesprochene Worte zu den alltäglichen Dingen gehören, für die sie auch die volle Verantwortung übernehmen werden muss. Das hierzu auch die intimsten Gedanken zählen, soll sie erst ein anderes Mal erfahren.

„Worte sind wie Energie in Bewegung“, sprechen aus ihm die vielen Jahre an Erfahrung. Sie ist sehr angenehm von seiner entspannten Art überrascht, als wäre es das selbstverständlichste Thema auf der Welt. Sie spürt ein großes Vertrauen in seine Worte, sie fühlen sich einfach so wahr und richtig an.

„Worte kommen einem Gebet gleich,“ überrascht er sie ein wenig auf dem „falschen Fuß“, „jedenfalls einem Gebet in seiner ursprünglichen Bedeutung. Es geht darin weniger darum, etwas zu erbitten oder betteln, sondern vielmehr darum, einem höheren Bewusstsein für noch nicht vollendete Ereignisse im eigenen Leben zu danken, als ob diese bereits real wären. Moderne Philosophen nennen das auch „Visualisieren“. Das Gefühl des Mangels oder sogar der Armut beim Bitten ist sogar eher kontraproduktiv, zur Erreichung des Ziels wäre daher das Empfinden echter und aufrichtiger Dankbarkeit die Gunst der Stunde. Du bekommst also, worum Du über Deine Emotionen bittest.“

Sie muss kurz innehalten und einmal fest hörbar schlucken. Eine Mischung aus Gänsehaut und wohliger Wärme machen sich bei ihr breit. Der unbekümmerten und selbstverständlichen Einfachheit seiner Worte geschuldet, ist sie für einen Moment den Tränen nah.

„Atme ein paar Mal tief in Brust und Bauch ein und wieder aus,“ bittet er sie mit seiner unendlich scheinenden Geduld. Sie erinnert sich deutlich an Gesprächen mit „überzeugten“, streng religiösen Menschen und wie sie als Teenagerin frustriert aus dem Gottesdienst lief.
„Hätte mir das doch mal jemand so mit Deinen Worten erklärt“, hört sich selbst mit leicht zittriger Stimme sagen, ohne den geringsten Zweifel dass seine Worte genau ihrer Form von Wahrheit entsprechen.
„Ich hatte schon fast meinen Glauben verloren,“ schiebt sie dankbar nach und genießt noch eine Handvoll tiefer Atemzüge, die ihr pochendes Herz beruhigen.

„Gottes „Bodenpersonal“ ist nicht unbedingt für meine Form der Interpretation göttlich-, religiöser Schriften bekannt“, lässt er sie mit einem leicht süffisanten Augenkneifen wissen,“ vergiß aber bitte nie Deinen freien Willen und finde Deine eigenen Worte und Deinen eigenen Glauben an das große Ganze. Gott bewertet Deine Wünsche nicht, achte auf Deine Emotionen, er lässt Deiner Seele immer die freie Wahl.“
„Du glaubst, wir haben den freien Willen an das zu glauben was wir wollen?“, folgert sie erstaunt aus seinen Worten.
„Nein,“ überrascht er sie kurz, „das glaube ich nicht, ich fühle und weiss es. Du darfst sogar die Konsequenzen aus all Deinen Entscheidungen selbst tragen, seien diese aus Deinen Ängsten oder einer höheren Wahrheit entsprungen. Ein konstruktives Wachstum würde ich persönlich jeder Form von Einschränkung durch Missinterpretation aus Unwissenheit bevorzugen,“ erläutert er mit einem freundlichen Lächeln und deutet mit beiden Händen auf seinen Herzbereich.

„Das würde ich so gern glauben,“ entfährt es ihr etwas undeutlich durch den dicken Kloß im Hals, „aber ist das nicht etwas naiv?“
Auch wenn er diese Reaktion schon viele tausende Male in all seinen Leben als Gegenargument gehört hat, behält es sein gleichmütiges Lächeln,
„Ja, lass uns naiv wie die Kinder sein, denn aller Anfang ist…Leicht.“

Mit den großen Augen eines Kindes, das jeden Tag neue Wunder erleben darf sieht sie ihn voller Hoffnung an und fragt:
„Wer oder was bist Du eigentlich, ein Engel auf Erden?“
„Manche würden mich einfach als EINEN Sohn Gottes bezeichnen,“ lässt er sie beiläufig wissen und bietet ihr an, ihm nach „Magdala“, dem kleinen Ort am See Genezareth zu folgen.
„Maria von Magdala“, flüstert sie leise vor sich hin, „das gefällt mir.“

Am 24. Februar 2020 um 7:00 Uhr